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Sonntagsausflug zu Hexen, Wasser und gutem Essen

Sonntag! Und, dem Namen entsprechend, ein sonniger Tag! Im Vorfeld des Urlaubs hatten wir uns lange Gedanken gemacht, was wenn möglich wäre. Was wäre wenn. Und die meisten Optionen hatten in der Regel die Worte „Schnee“, „Sturm“ oder „Schneesturm“ als Titel.

„Strahlender Sonnenschein“ war da also eher eine Überraschung und insofern waren wir angenehm überrascht, als wir vor der Abreise die Wettervorhersage für den Urlaub angeschaut haben. Denn für den Sonntag war sehr, sehr viel Sonne angesagt. Was sich, als wir aus dem Hotel traten, bewahrheitet hat.

Das Ganze wurde dann relativiert, als wir in die Metro hinab stiegen, die uns zum Nordbahnhof bringen sollte.

Wie so viele Städte in den USA gibt es auch in Boston kein Netz im öffentlichen Personennahverkehr und erst recht nicht, wenn es um die Eisenbahn geht. Boston hat aktuell zwei Bahnhöfe, ähnlich wie Paris, die den Verkehr nach Norden und nach Süden bündeln. Also muss man in alle Richtungen gen Norden zur Boston North Station fahren. Auch wenn dies eine, unserer Ansicht nach, Regionalbahn ist. Daher: Ab in die Orange Line und ab nach Norden.

Dort angekommen mussten wir erst einmal den Ausgang suchen. Dann die Treppe für den Ausgang. Dann die Richtung, denn wir kamen aus einer Seitentür raus. Und dann sahen wir den Bahnhof …

Hier war, dafür das dies einer der Hauptbahnhöfe Bostons ist, erstaunlich wenig los. Wir hatten uns ein wenig an Helsinki vor ein paar Monaten erinnert und da war damals wenigstens ein Automat für die Fahrscheine zu sehen. Hier war nix, was uns zu der einen (!) Angestellten brachte, die uns dann ein 10 US$ Ticket für die Regionalbahn, aka „Commuter Rail„, verkaufte. Mit dem Ticket ging es dann zum Bahnsteig, wobei … der Bahnsteig wird hier erst ein paar Minuten vor der Abfahrt angezeigt. Was leider nicht mehr ausreichte, um einen Kaffee für Jens zu kaufen. Dessen unter-kaffeiinierter Zustand bedenkliche Züge annahm.

Nachdem das Gleis angesagt wurde, ging es im Gänsemarsch zum Zug.

Wobei „Zug“ hier hieß: Zum ersten Waggon!

Denn die übrigen Waggons blieben leer. Warum diese trotzdem mitgeschleppt wurden: Keine Ahnung! Als wir am Doppelstock-Wagen ankamen, setzten wir uns nach oben in einen von zwei Sitzen mit Tisch.

Und „genossen“ die Aussicht durch die dreckigen Scheiben. Die ältesten Waggons der MBTA Commuter Rail Flotte sind so alt wie Jens, nämlich Jahrgang 1978.

Während der Fahrt konnten wir einen gewissen Eindruck über die Vorstädte Bostons erlangen. Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters und für uns sah das alles eher trist, schmutzig und teilweise sehr verlassen aus.

Nach 30 Minuten waren wir dann aber an unserem Zielort für die erste Etappe: Salem!

Salem wurde 1626 von Puritanier gegründet und war ursprünglich unter dem Namen „Naumkeag“ bekannt. Eine Zeit lang konkurrierte diese Bezeichnung mit dem aus der Bibel stammenden Namen Salem, der sich im Lauf des 17. Jahrhunderts durchsetzte.

Bekannt wurde die Stadt dann durch die Hexenprozesse von Salem, die im Jahr 1692 stattfanden. Dies trug ihr den Beinamen „The Witch City“ ein und in diesen trat der Pfarrer und Schriftsteller John Wise für die Angeklagten ein und griff damit die bis dahin gültige Rolle der Kirche in den britischen Kolonien an. In der Stadt erinnern zahlreiche Museen an diese Zeit, was für uns interessant genug war, um uns einen Ausflug dorthin zu gönnen.

Für Jens war auch interessant: Die Eisenbahn, die von hier aus ihre Fahrt in Richtung Newburyport oder Rockport fortsetzte.

Und nachdem diese weg war: Der Kaffee!

Was uns übrigens hier aufgefallen ist, ist der starke LGBTQIA+ Bezug, den hier viele Läden haben. Eigentlich schade, dass dies noch so betont werden muss und um so schöner, dass es hier so viele machen. Am Ende sind wir doch alle Menschen, die das gleiche Blut haben und unter dem gleichen Himmel leben.

Auch wenn hier in Salem viele davon Hexen sind! Spaß …

Die Stadt selber war eine nette Abwechslung von Boston, was durch die kleinen Häuser und die weite Architektur verstärkt wurde.

Und für uns als Japan-Fans war die Städtepartnerschaft mit Ota ein schöner Zug.

Auch wenn hier überproportional viele Menschen in schwarzer Kleidung herum liefen. Und die Anzahl von Tattoo-Läden war auch unüblich groß.

Aber sonst erschein uns Salem wie eine nette, kleine New England Stadt.

Bis wir auf das „Salem Witch Museum“ stießen. Beziehungsweise es erreichten.

Thema hier waren – und das war einer der Gründe, weswegen wir hier hin gefahren sind –  die Hexenprozesse von Salem im Jahr 1692, welche der Beginn von vielen Verhaftungen, Anschuldigungen, Anklagen und teilweise barbarischen Hinrichtungen wegen Hexerei waren. In ihrem Verlauf wurden 19 Beschuldigte hingerichtet, 55 Menschen unter Folter zu Falschaussagen gebracht, 150 Verdächtigte inhaftiert und weitere 200 Menschen der Hexerei beschuldigt.

Im Winter 1691 begannen die Töchter des Predigers Samuel Parris sich auffällig zu verhalten, sich unter Dingen zu verstecken und auf dem Boden zu kriechen. Dabei muss man wissen, dass das Leben, gerade für junge Mädchen, damals eigentlich kein Leben war, denn sie durften weder das Haus verlassen, noch durften sie spielen. Sie vegetierten solange vor sich hin, bis sie verheiratet werden konnten. Kein Wunder also, dass hier psychische Probleme entstehen können.

Der Arzt William Griggs vermutete dann nach eingehender Untersuchung und dem Ausschluss aller damals bekannten psychischen Störungen (also aller drei *g*), dass sie vom Teufel besessen sein könnten. Die Mädchen schienen von der unsichtbaren Hand des Teufels verrenkt zu werden. Abigail und Elizabeth bestätigten dies, indem sie schilderten, wie sie durch unsichtbare Hände gequält würden. Parris griff diese Erklärung sofort auf und meinte, dass die Stadt vom Satan besetzt worden sei. Ein Heer von kleinen Teufeln stehe bereit, in die neue Siedlung einzudringen. Elizabeth berichtete, dass Satan versucht habe, sich ihr zu nähern. Da sie ihn abgewiesen habe, schicke er nun seine Handlanger, die Hexen. Ein Mittel, den Angriff Satans abzuwehren, war, die Hexen zu identifizieren und zu benennen.

Langsam wurde diese Erklärung quasi salonfähig und wurde zu einer Art selbst erfüllenden Prophezeiung, denn jedes auffällige Mädchen verwendete diese Begründung und nannte wiederum Namen von Personen, die sie angeblich verhext hatten.

In einem ersten Raum der Ausstellung wurde die Geschichte des Priesters, seiner Töchter und der Ablauf der Prozesse mit Darstellungen gezeigt und erläutert.

Auffällig war, dass es auch damals Stimmen gegen die Hexenverfolgung gegeben hat, die allerdings dann ziemlich schnell entweder aufgegeben haben oder ihrerseits diskreditiert wurden.

Am 1. März 1692 wurden die beschuldigten Frauen inhaftiert. Es folgten Anklagen gegen weitere Personen, so zum Beispiel ein vierjähriges Kind, eine bettlägerige, religiöse Großmutter oder auch eine Haushälterin mit karibischem Hintergrund. Gegen Ende Mai kam der vom englischen König eingesetzte Gouverneur Sir William Phips nach Salem, um eine Anhörung durchzuführen.

Das Gericht verhandelte ungefähr einmal im Monat neue Fälle. Bis auf eine Ausnahme wurden alle Beschuldigten wegen Hexerei zum Tod verurteilt. Verurteilte, die sich schuldig bekannten und weitere Verdächtige nannten, wurden nicht hingerichtet. Aufgrund ihrer Schwangerschaft wurde die Hinrichtung von Elizabeth Proctor und Abigail Faulkner verschoben. Bei vier Hinrichtungen im Verlauf des Sommers wurden 19 Personen gehängt, darunter ein Geistlicher, ein Gendarm, der sich geweigert hatte, weitere der Hexerei Verdächtigte festzunehmen, und mindestens drei weitere bisher angesehene Persönlichkeiten. Sechs Hingerichtete waren Männer, die anderen meist verarmte Frauen höheren Alters.

Am grausamsten war die Geschichte des 80 Jahre alten Bauers Giles Corey, der sich weigerte, sich als schuldig oder unschuldig zu bekennen. Das damalige Recht sah in solchen Fällen vor, den Angeklagten durch Folter zu einem Bekenntnis zu bringen, ohne das kein Prozess stattfinden konnte. Dies wurde im englischen Common Law als Peine forte et dure bezeichnet. Die Folter war aber nicht als Strafe an sich gedacht, da der Angeklagte weiterhin als unschuldig galt. Am 19. September 1692 starb Gilles Corey, nachdem er drei Tage mit immer schwereren Steinen zerquetscht worden war.

Während der Hexenprozesse in Salem wurde die Ernte nicht eingebracht und Rinder vernachlässigt. Sägemühlen standen still, weil entweder die Eigentümer vermisst wurden, ihre Arbeiter verhaftet waren oder sie Gefängnisse und Prozesse besuchten. Einige Angeschuldigte flüchteten. Der Handel kam fast zum Erliegen, während die Bedrohung durch Indianer im Westen blieb.

Am 22. September 1692 wurden die letzten acht Personen durch Hängen hingerichtet.

Spannenderweise wurde 1693 von Geistlichen in Boston ein Einspruch mit dem Titel „Cases of Conscience Concerning Evil Spirits“ eingereicht. In diesem wurde festgestellt, dass es besser sei, wenn zehn verdächtigte Hexen entkämen, als wenn eine unschuldige Person verurteilt würde. Die Hexenprozesse endeten im Januar 1693. Im Frühjahr des Folgejahres wurden die letzten Verhafteten freigelassen.

Nach dieser anschaulichen Geschichtsstunde ging es in einem zweiten Raum darum, was Hexen eigentlich sind, wo dieses Bild her kommt und was eigentlich hinter der Hexenverfolgung steckte.

Hier war eine Angestellte des Museums dabei, um Fragen zu beantworten oder Erklärungen zu geben.

Am krassesten war dann diese Formel, welche man eben immer wieder findet und die es bis in die Neuzeit geschafft hat. Menschen haben sich seit 1692 nicht so wirklich weiterentwickelt, zumindest in diesem Aspekt.

Ein sehr schönes Museum, was das Thema „Hexenverbrennung“ schon recht breit thematisiert und dadurch uns viel beigebracht hat.

Durch das schöne Wetter wurden wir aber kurz nach dem Ende der Vorführungen wieder nach draußen getrieben. Das sonnige und recht kalte Wetter wollte ausgenutzt werden.

Schöne Autos hat es hier auch!

Langsam war es Zeit für das Mittagessen und hier standen wir wieder vor der Auswahl „Austern oder Bier?“. Die dieses Mal mit einem eindeutigen „Erst Bier und zum Abendessen Austern!“ beantwortet wurde, denn vorab hatten wir eine interessante Brauerei entdeckt und die wollten wir besuchen.

Salem war immer noch relativ verschlafen, aber gefiel uns irgendwie auch. Immer wieder gab es kleine Kunstwerke, es war sauber und es gab viele kleine Läden.

Naja und eine Brauerei mit Taproom in einem Backsteingebäude – viel amerikanischer kann es ja auch nicht werden.

Die Notch Brauerei gehört einem gebürtigen Tschechen, der hier auch als Braumeister arbeitet. Und er hat eine Vorliebe für deutsche Braustile, was sich in einem Kölsch, einem Alt, einem Pils, einem Hellen, einem Rotbier und anderen uns dann doch sehr bekannten Getränken zeigte.

Dazu tschechische Kleinigkeiten. Und schon waren wir sehr zufrieden und genossen den Sonntag Mittag.

Ein paar Gespräche mit den anwesenden Kellnern über die Geschichte, die Biere und die Gegend machten dies wieder einmal zu einem sehr schönen Besuch. Irgendwie ist dies beim Thema „Craft Beer“ aber auch der Standard, denn Genussmenschen sind eben eine Art von Menschen, mit denen wir relativ schnell warm werden.

Oh, und einen Lauftreff ähnlich dem Mikkeller Running Club gab es hier auch.

Dann lockte die Sonne aber wieder. Meike wollte noch zu einem etwas entfernteren Leuchtturm spazieren, was aber Jens nicht so wirklich wollte. Nach einer Diskussion gingen wir dann zu einem Historic Site, wo es auch einen Leuchtturm hat.

Ansonsten war, es ist eben off-season, nicht viel zu sehen.

Aber der Blick aufs Wasser war echt schön und beruhigend.

Ein paar Begegnungen mit Hunden gab es dann auch noch.

Langsam verlangte aber unsere Blase nach einer Leerung und daher gingen wir in das erste Lokal, was wir fanden.

Auch hier wieder viele Zeichen für LGBTQIA+ Support – dies ist uns echt oft aufgefallen. Und scheint in Amerika ja auch dringend nötig zu sein. Jens trank hier ein Blue Ribbon Papst, quasi das Öttinger der Amerikaner. Und es schmeckte wirklich nicht gut!

Also: Bier ist erledigt, fehlen nur noch die Austern …

Die Sea Level Oyster Bar kam da genau richtig – hier setzten wir uns an einen Tisch am Fenster und …

… suchten uns unser Mahl aus. Was bei Jens hier zu „Welche Austern gibt es hier?“ führt.

Für Meike gab es auch noch Oysters Rockefeller und ein paar frittierte Tintenfische fanden auch ihren Weg an unseren Tisch.

Beim Hauptgang gab es eine Fischfrikadelle für Meike und ein paar gebratene Jakobsmuscheln für Jens. Letztere wurden von einem gefühlten Kilo Kartoffelpamps begleitet, was für eine mehr als ausreichende Sättigung sorgte.

Dann war es aber auch Zeit zurück nach Boston zu fahren. Da Züge hier nur noch alle Stunde fahren, gönnten wir uns ein Taxi zum Bahnhof. Natürlich hatte der Zug dann aber 12 Minuten Verspätung, sodass wir uns die 7 Dollar für die Fahrt auch hätten sparen können.

Die Wartezeit in der Kälte war auch nicht besonders angenehm, sodass wir froh waren, als der Zug einfuhr. Immer noch mit vielen leeren Wagen, die weiterhin unnütz durch die Gegend gefahren wurden.

Aber egal – wir saßen im Warmen, der Schaffner brüllte auch nicht so viel wie der heute morgen und die Sitze waren bequem.

Und sogar die Blase, die sich wieder meldete, konnte ausreichend berücksichtigt werden.

30 Minuten später waren wir wieder in Boston und mussten raus in die Kälte.

War auch viel mehr los als heute morgen.

Und mit der grünen Linie ging es dann zum Hotel zurück.

Ein schöner Ausflug, eine interessante Stadt, ein paar nette Begegnungen und Gespräche und 18.000 Schritte auf dem Tacho – ein Bilderbuch Sonntag!

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